Montag, 13. Mai 2013

Extremismus: In der Haft werden Vorurteile bestätigt

Heidelberg. Jedes Jahr werden mehr als 800 Gewaltverbrechen von Neonazis registriert – zuletzt mit steigender Tendenz. Viele werden zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Doch unglücklicherweise festige oder verstärke die Haft das rechte Gedankengut, berichtet Figen Özsöz vom Bayerischen Landeskriminalamt in einem Interview mit dem Psychologiemagazin Gehirn&Geist (Ausgabe 05/2012).

Aus: Gehirn und Geist, Juni 2013


Die türkischstämmige Psychologin befragte im Rahmen ihrer Promotion rechtsextremistische Jugendliche im Gefängnis. Mit dem Leid der Opfer wollten sich die meisten nicht auseinandersetzen, sagt Özsöz. Sie neigten vielmehr dazu, die Tat zu bagatellisieren und die Verantwortung auf den Alkohol oder auf Mittäter zu schieben. Wenn sie die Tat bereuten, meinten sie damit die Auswirkungen auf ihr eigenes Leben. »Sie bedauerten, dass sie von Partner und Familie getrennt lebten oder dass sie ihren Arbeitsplatz verloren hatten.« Das rechtsextreme Gedankengut bleibe jedoch von der Haft unberührt. Denn in westdeutschen Gefängnissen gebe es einen hohen Ausländeranteil – in den Augen der Täter ein Beweis für ihre Vorurteile. In ostdeutschen Gefängnissen wiederum bräuchten rechtsextreme Insassen ihre ideologische Zugehörigkeit nicht zu verstecken, sondern fänden schnell Anschluss. Für die Resozialisation sei daher die Haltung der Angehörigen entscheidend, so Özsöz. »Sie sollten sogar konkrete Forderungen stellen: Wir sind für dich da, allerdings unter der Bedingung, dass du dich von der Szene distanzierst!«

Opfer von Hassverbrechen leiden offenbar psychisch stärker als Opfer vergleichbar schwerer Delikte, berichtet die Psychologin. Sie wüssten, dass sich die Angriffe gezielt gegen ihre Identität richteten, und das löse verstärkt Angst und Scham aus. Die Brandanschläge in Solingen 1993 hätten weite Teile der türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland verunsichert, weil sie fürchteten, es könne sie als Nächstes treffen. »Deshalb ist es wichtig, Opfern und ihren Angehörigen zu vermitteln, dass die Täter nicht für die gesamte Gesellschaft sprechen.«

Hintergrundinformation: Rechte Gewalt zählt zu den so genannten Hassverbrechen – Straftaten gegen Mitglieder von Bevölkerungsgruppen, die von den Tätern gehasst, abgelehnt oder für minderwertig befunden werden, nur weil es beispielsweise homosexuell oder obdachlos ist oder weil man ihm seinen jüdischen Glauben oder seine ausländische Herkunft ansieht. Auch Terroranschläge von islamistischen Fundamentalisten zählen dazu, doch in Deutschland gehen Hassdelikte überwiegend auf das Konto rechtsextremistischer Täter.