Montag, 13. Mai 2013

Mehrsprachigkeit macht klug

Heidelberg. Fremdsprachenkenntnisse werden heute allseits begrüßt. Doch in Sachen zweisprachiger Früherziehung sind vielen Pädagogen und verunsicherte Eltern nach wie vor skeptisch: Beherrschen Kinder, die schon früh mehrere Sprachen lernen, am Ende keine davon richtig? Birgt das nicht auch Risiken, wie etwa eine verzögerte kognitive Entwicklung?

Aus: Gehirn und Geist, Juni 2013

Studien von Psychologen und Hirnforschern zeigen: Eine zweisprachige Erziehung hat tatsächlich Nebenwirkungen – allerdings sind diese in den meisten Fällen überaus wünschenswert. Das berichtet das Wissenschaftsmagazin "Gehirn und Geist" in seiner neuen Ausgabe (6/2013). Zweisprachige Kinder kennen demnach in den einzelnen Sprachen zwar im Schnitt etwas weniger Wörter als einsprachige. Die Furcht vor einem verzögerten Spracherwerb oder anderen kognitiven Defiziten hat sich aber als unbegründet erwiesen. Zweisprachig aufwachsende Kleinkinder sprechen ihr erstes Wort im Alter von etwa einem Jahr, genau wie einsprachige. Auch im weiteren Entwicklungsverlauf zeigten sich keine nennenswerten Auffälligkeiten – zumindest keine negativen.

Vielmehr gleicht das Aufwachsen mit zwei Sprachen offenbar einem Intensivtraining für das Gehirn. Bilinguale Erwachsene schneiden bei einer Reihe von Geistesübungen im Schnitt besser ab, vor allem bei solchen, die die so genannten exekutiven Funktionen fordern. Damit bezeichnen Neuropsychologen die Fähigkeit, seine Aufmerksamkeit flexibel auf neue Sichtweisen zu verlagern und zwischen verschiedenen Aufgaben umzuschalten. Diese Kapazität wird durch die Auswahl zwischen verschiedenen Sprachsystemen gefördert.

Ein gutes Beispiel ist die Fähigkeit, die Perspektive einer anderen Person einzunehmen. Ausgeklügelte Tests der Psychologen Patrick Cushen und Jennifer Wiley an der University of Illinois in Chiacago haben gezeigt, dass dies zweisprachigen Kindern früher gelingt als üblich – im Alter von drei statt erst mit vier Jahren. Doch auch später scheint es ihnen leichter zu fallen. Ein anderes Feld ist das kreative Denken: Wie Studien zeigten, fällt zweisprachigen Menschen das Knacken so mancher Kopfnüsse leichter als einsprachigen, erklärt Ellen Bialystok von der York University in Toronto (Kanada).

Der vermutliche Grund: Kreativität erfordert ganz allgemein, nicht dem erstbesten Einfall zu folgen, sondern "Nullachtfünfzehn-Gedanken" zu unterdrücken und seine Aufmerksamkeit auf nicht ganz so offensichtliche Lösungsoptionen zu lenken. Die Überlegenheit der Exekutivfunktionen, die sich Zweisprachige antrainiert haben, könnte so innovatives Problemlösen fördern, spekulieren die Forscher.