Montag, 12. August 2013

Legasthenie-Screening für Kleinkinder

Aus: Gehirn und Geist, September 2013

Heidelberg - Kinder mit Legasthenie können bei rechtzeitiger Unterstützung in der Schule gut zurechtzukommen. Nun wollen Forscher die Veranlagung zu einer Lese-Rechtschreib-Störung schon bei Vierjährigen per EEG feststellen, berichtet das Magazin Gehirn und Geist in seiner neuen Ausgabe (9/2013).

Obwohl Schwächen beim Schreiben und Lesen meist schon in der ersten Klasse auffallen, dauert es heute oft noch mehrere Jahre, bis eine Legasthenie oder Lese-Rechtschreib-Störung (LRS) diagnostiziert wird. "Das bedeutet für viele Kinder, dass sie lange nur negative Erfahrungen mit Schriftsprache machen und die Motivation zum Lernen verlieren", sagt die Therapeutin Maike Hülsmann vom Legasthenie-Zentrum Schöneberg in Berlin.

Am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig untersucht ein Team um Jens Brauer derzeit rund 300 Kinder zwischen drei und zehn Jahren, von denen enge Verwandte eine Lese-Rechtschreib-Störung haben. Per Elektroenzephalografie (EEG) messen die Forscher die Gehirnaktivität der Kinder, während eine Frauenstimme minutenlang eine bestimmte Silbe wiederholt, die ab und zu von einer zweiten, ähnlich klingenden abgewechselt wird.

Bei Legasthenikern, aber auch bei Kindern mit erblicher Vorbelastung reagiert das Gehirn schwächer auf die raren Laute. Es erkennt den Unterschied offenbar schlechter. Brauers Team will nun prüfen, ob die EEG-Messung – in Kombination mit einem Gentest – schon bei Drei- oder Vierjährigen das Risiko für eine Lese-Rechtschreib-Störung vorhersagen kann. Dies könnte den Weg für eine frühzeitige Therapie ebnen, mit der sich die Veranlagung kompensieren lässt.


Etwa 430.000 Schulkindern in Deutschland leiden an Legasthenie, darunter fast doppelt so viele Jungen wie Mädchen. Die Kinder lesen Texte sehr langsam oder fehlerhaft, lassen Wörter weg oder fügen andere hinzu. Beim Schreiben verwechseln sie häufig ähnliche klingende Buchstaben. Auch die Groß- und Kleinschreibung ist für sie eine Hürde. Die Störung tritt in bestimmten Familien gehäuft auf. Hat ein Elternteil Legasthenie, ist in mehr als 40 Prozent der Fälle eines der Kinder betroffen. Mehr als eine Hand voll Genorte wurde schon identifiziert. Bisher lässt sich mit den molekulargenetischen Befunden aber noch keine Diagnostik betreiben. Dennoch hat Legasthenie überwiegend biologische Ursachen.