Eppelsheim
/ Mainz (internet-zeitung) – Sind im Ur-Rhein vor rund 10 Millionen Jahren auch
mehr als 1 Meter lange räuberische Riesensalamander der Art Andrias scheuchzeri
geschwommen? Diese Frage wirft der Wiesbadener Wissenschaftsautor Ernst Probst
auf, der sich in mehreren Büchern mit der exotischen Tierwelt von Eppelsheim
und anderen berühmten Fundstellen am Ur-Rhein in Rheinhessen befasst hat.
Der
Riesensalamander Andrias scheuchzeri spielt in der Geschichte der Paläontologie,
der Wissenschaft von den Lebewesen und
Lebewelten der geologischen Vergangenheit, eine wichtige Rolle. 1726 beschrieb
der Schweizer Arzt und Naturforscher Johann Jacob Scheuchzer (1672-1733) diese
Amphibienart erstmals als „Homo diluvii testis“ („der die Sintflut bezeugende
Mensch“). Irrtümlicherweise deutete er ein 1725 bei Öhningen am Bodensee
entdecktes Fossil als Skelett eines sündigen Menschen aus der Zeit vor der
Sintflut. Er bezeichnet den Fund als „Beingerüst eines verruchten
Menschenkindes, um dessen Sünde willen das Unglück über die Welt
hereingebrochen sei“.
Bald wurden Zweifel
an der phantasievollen Deutung von Scheuchzer laut. Der Schweizer Naturforscher
Johannes Gessner (1709-1790) vermutete 1758, es handle sich um fossile Reste
eines Welses (Silurus glanis). Dagegen deutete der niederländische Arzt Peter
Camper (1722-1789) diesen Fund als Eidechse. 1802 kaufte der niederländische
Arzt und Naturforscher Martinus van Marum den Original-Fund aus der Gegend von
Öhningen für das „Teylers Museum“ in Haarlem (Niederlande).
Einige Jahre später
stattete der berühmte französische Naturforscher Georges Cuvier (1769-1832) dem
Museum in Haarlem einen Besuch ab. Er durfte das Fossil aus Öhningen genau
untersuchen und konnte dabei die noch im Gestein verborgenen Knochen der
vorderen Gliedmaßen freilegen. Cuvier erkannte die wahre Natur des Tieres als
Amphibium.
Als
wissenschaftlicher Erstbearbeiter gilt heute der Schweizer
Naturforscher, Botaniker, Paläontologe und Pharmazeut Friedrich Holl
(1790-1870), der die Art als Salamandra scheuchzeri wissenschaftlich gültig
beschrieb. Ungefähr zur gleichen Zeit machte der bayerische Arzt, Japan- und
Naturforscher Philipp Franz von Siebold (1796-1866) erste Exemplare des
heutigen Japanischen Riesensalamanders bekannt. Nun fiel die Ähnlichkeit der heute lebenden Art aus Ostasien
mit den Fossilfunden aus Europa auf. 1837 führte der Schweizer Naturforscher
und Forschungsreisende Johann Jakob von Tschudi (1818-1889) den Gattungsnamen
Andrias ein. Deswegen heißt der Riesensalamander bei Öhningen zu deutsch
„Scheuchzers Menschenbild“.
Die Kopf-Rumpf-Länge von Andrias scheuchzeri
erreichte mehr als 1 Meter. Der Schädel war maximal ungefähr 25 Zentimeter
lang. Im Oberkiefer befanden sich 60 bis 110 Zähne, im Unterkiefer
65 bis 101. Die Vorderbeine hatten vier Zehen, die Hinterbeine fünf.
Fossile Reste des Riesensalamanders sind an vielen
Fundstellen in Deutschland geborgen worden. Aus dem Chattium (28,1 bis 23,03
Millionen Jahre) stammen die Funde von Rott bei Hennef (Nordrhein-Westfalen)
und Oberleichtersbach (Nordbayern). Ins Burdigallium (20,44 bis 15,97 Millionen
Jahre) datiert man die süddeutschen Funde von Illerkirchberg,
Ringingen-Frontal, Langenau, Eggingen-Mittelhart. Dem Langhium (15,97 bis 13,82
Millionen Jahre) rechnet man den Nachweis von der Fundstelle „Hambach 6C“
(Nordrhein-Westfalen) zu. Ins Serravallium (13,82 bis 11,62 Millionen Jahre)
stellt man die Funde von Öhningen,
Kirchheim in Schwaben und Zeilarn. Zum Tortonium (11,62 bis 7,24 Millionen
Jahre) gehören die Funde von Mörgen, Tiefenried, Derndorf, Eppishausen. Dem
Tortunium rechnet man auch die Fossilien
aus den rund 10 Millionen Jahre alten Fundstellen am Ur-Rhein (Westhofen,
Eppelsheim, Bermersheim, Gau-Weinheim, der Wissberg bei Gau-Weinheim, der Steinberg
(Napoleonshöhe) bei Sprendlingen) sowie aus
Österreich (Götzendorf, Mataschen, Vösendorf-Brunn) zu. Das Tortonium ist nach der Stadt Tortona in der Provinz Alessandria, Region Piemont (Italien), benannt. Aus der Zeit vor rund 3 Millionen Jahren ist der Riesensalamander aus Willershausen
(Niedersachsen) nachgewiesen.
Bei Grabungen
an der weltbekannten Fossilienfundstelle Eppelsheim wäre noch viel zu
entdecken. Erstmals könnten dort außer Resten von Riesensalamandern auch
Fossilien von weiteren Affen und Menschenaffen sowie Vögeln (Flamingos,
Papageien, Trogons und Mausvögel)
ans Tageslicht geholt werden. Außerdem sind interessante Erkenntnisse über den
Klimawandel möglich. Vor rund 10 Millionen Jahren war es nämlich nicht mehr so
warm wie vor 20 Millionen Jahren, andererseits aber wärmer und feuchter als
heute. Palmen und Krokodile gab es am Ur-Rhein nicht mehr.