Unabdingbar für die Wissenschaft oder sinnlose Quälerei? Beim Thema Tierversuche scheiden sich die Geister. Das Magazin Gehirn&Geist blickte hinter die Kulissen eines Hirnforschungslabors
Aus: Gehirn&Geist, Gehirn&Geist November 2010
Affenschädel mit fest implantierten Elektroden, im Schraubstock eingezwängte Katzenköpfe, mit Chemikalien getränkte Kaninchenaugen – die Bilder von Versuchstieren erscheinen wie aus einem Horrorkabinett. Kein Wunder, dass sich viele Menschen mit Grausen abwenden und ein Verbot von Tierversuchen fordern.
Manche Wissenschaftler wie der Mediziner Wolf Singer vom Max-Plank-Institut für Hirnforschung in Frankfurt am Main gelten Tierversuchsgegnern geradezu als Anwälte des Bösen. Sind Tierversuche notwendig? Was geschieht in den Labors, und wie sehr leiden die dort eingesetzten Tiere? Um diese Fragen wenigstens exemplarisch zu klären, sah sich die Biologin und Journalisten Stefanie Reinberger in Singers Institut um und beschreibt ihre Eindrücke in der neuen Ausgabe von Gehirn&Geist (Heft 11/2010).
Die Frankfurter Hirnforscher experimentieren mit Rhesusaffen, um die Verarbeitung visueller Reize im Gehirn zu untersuchen. Hierzu haben die Wissenschaftler Elektroden ins Gehirn der Affen eingepflanzt und fixieren während eines Experiments den Kopf des Versuchstiers mit einem im Schädel befestigten Metallbolzen. "Die reinste Quälerei", meint Corinna Gericke vom Verein "Ärzte gegen Tierversuche". Doch Singer betont, dass seine Versuchstiere nach und nach an die Prozedur gewöhnt werden, denn mit einem gestressten Tier, das Angst oder Schmerzen habe, könne er gar nicht arbeiten. "Das Tempo bestimmt der Affe", sagt der Hirnforscher.
Tierversuchsgegner wie Gericke kritisieren ebenfalls, dass die Affen vor den Experimenten dursten müssten, um sie mit Fruchtsaft belohnen zu können. Singer und sein Kollege Stephan Treue vom Deutschen Primatenzentrum in Göttingen halten dies für unproblematisch, da die Tiere hinterher immer genügend Flüssigkeit zu trinken bekommen.
Doch wozu überhaupt das Ganze? Geht es den Wissenschaftlern nur darum, ihre Neugier zu befriedigen und Publikationen in Fachjournalen zu sammeln? Singer und Treue verweisen auf neue Erkenntnisse zu Fehlfunktionen in Gehirnen schizophrener Menschen oder auf Fortschritte wie Hirnschrittmachern für Parkinsonpatienten, die ohne Tests an Affen undenkbar wären.
Dass Grundlagenforschung nötig ist, bezweifelt auch der Tierethiker Stefan Rippe von der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe nicht. In einem Streitgespräch mit Wolf Singer hält er jedoch daran fest, dass Tierversuche moralisch bedenklich sind, da man den Menschen nicht grundsätzlich höher bewerten dürfe als Tiere. Das Streitgespräch zwischen Philosoph und Hirnforscher erscheint in der nächsten Ausgabe von Gehirn&Geist (Heft 12/2010).
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